Es sind schon einige Minuten vergangen, nachdem Semis dem Prinzen die momentane Situation geschildert hat, doch sein Gegenüber guckt weiterhin schweigend aus dem Fenster. Das Mondlicht hüllt ihn in einem geheimnisvoll-wirkendem Schimmern.
Sein Name lautet Arthur Vangarda. Präsident des Studentenrats und Kronprinz des Königreichs Vangarda - ein Land, dessen militärische und wirtschaftliche Macht auf dem Kontinent Sivaria unantastbar und unangefochten ist. Höchstens das Jamna-Reich könnte Vangarda ebenbürtig sein, aber niemand würde sich trauen öffentlich Vergleiche zu machen. Die Sirenford-Akademie wurde auch auf dem Boden von Vangarda errichtet, ist jedoch offen für Studenten aus allen Ländern Sivarias.
Dennoch besteht kein Zweifel, dass Vangarda an der Spitze steht und es besteht kein Zweifel, dass Arthur als Prinz und Präsident die mächtigste Person dieser Akademie ist. Wenn die Situation es verlangt, könnt sich sein Einfluss sogar dem Rektor widersetzen; immerhin ist sein Vater, der König, Sirenfords größter Geldgeber und zudem die höchste politische Gewalt.
Seit dem Beginn seines Studiums ist Semis zusammen mit Arthur Mitglied des Studentenrats. Seit fünf Jahren arbeiten die beiden eng zusammen, lernen voneinander und haben schon viele Herausforderungen bewältigt. Doch Semis hat nicht wirklich das Gefühl, dass er Arthur seinen Freund nennen kann.
Von außen scheinen die beiden Prinzen Freunde zu sein. Ihre angebliche Freundschaft, soll wohl sogar die angespannten Beziehungen zwischen Vangarda und Jamna verbessert haben. Doch in Wirklichkeit wirkt Arthur so weit entfernt. Semis würde sich nie eingestehen, dass er sich dem Prinzen unterlegen fühlt, jedoch wird ihm immer wieder schmerzlich bewusst, dass er so wenig über ihn weiß. Arthur wirkt stark, selbstbewusst und für sein Alter von 23 Jahren sehr erfahren.
Selbst in diesem Moment fällt Semis in tiefes Schweigen, während er betrachtet, wie Arthur vor dem Fenster mit einem Glas Wein sitzt. Das Gefühl, dass dieser Anblick in Semis auslöst, kann er nicht mit Worten beschreibt.
Empfindet er Bewunderung?
Oder ist es Neid?
Vielleicht Rivalität?
“Ich verstehe…” Arthur antwortet endlich auf Semis Bericht. Seine Stimme ist tief und ruhig, doch gleichzeitig vibriert in ihr ein kraftvoller Klang. Es ist fast schon lächerlich, dass selbst seine Stimme die Erhabenheit eines mächtigen Monarchen besitzt.
Arthur wendet seinen Blick vom Mond am Nachthimmel und schaut Semis an, der wie angewurzelt in den Mitte des Raumes steht.
“Du hast also diesen Söhnen den Besitz an den Schulgarten übertragen und sie wurden schließlich verjagt…”
Der Prinz schwenkt behutsam den Wein in seinem Glas,
“…von einem maskierten Mann.”
“So sagen es jedenfalls die Gerüchte, Arthur.”
Semis mag zwar von Arthurs Präsenz eingeschüchtert sein, aber das würde er dem Prinzen gegenüber nie zeigen. Er spricht ihn auf gleicher Höhe an und verwendet sogar seinen Vornamen - ohne Titel.
“Aber wir sollten uns auf Tatsachen verlassen. Die Gerüchte an dieser Akademie bilden nur eine undurchschaubare, fälschliche Faktenlage” setzt Semis fort.
“Und dennoch besitzt jedes von ihnen einen Funken Wahrheit.”
Inhaltlich stimmt Semis dem Prinzen nicht zu, dennoch wirkt der Satz überzeugend, wenn er von Arthur ausgesprochen wird.
“A-Arthur, ich denke-”
“Wir erklären ihnen den Krieg.”
“Was? Wem?”
“Penumbra.”
“Warte, warte! Wir wissen nicht einmal, ob Penumbra wirklich existiert. Ich weiß, dass Professor Wagner-”
“Ob Organisation oder Einzeltäter: Wir zeigen Jedem an dieser Schule- Nein, jedem auf dieser Welt, dass man sich nicht den Studentenrat widersetzt.”
Das ist hingegen das Problem mit dem mächtigsten Prinzen des Kontinents: Um seine überlegene Machtposition als Präsident zu verteidigen, greift er oft zu radikalen Maßnahmen und voreiligen Schlüssen. In den meisten Fällen läuft alles gut - Seine aggressiven Strategien sind an der Sirenford sehr effektiv - aber manchmal verursachen sie auch schwerwiegende Schäden an der Schülerschaft.
Dennoch sind Arthurs Pläne immer von Erfolg gekrönt.
Der Prinz schafft alles.
Der Prinz kriegt alles.
Semis hebt sein Kinn herausfordernd:
“Und wie genau willst du ihnen den Krieg erklären?”
Arthurs Augen schweifen auf einen Punkt hinter Semis:
“Wir sagen es ihnen einfach.”
Er hebt sein Weinglas und zeigt auf den Schatten an der Zimmerwand.
“Komm raus. Ich weiß, dass du da bist.”
“Wa-?” Semis dreht sich erschrocken um, als er plötzlich eine fremde Stimme hört.
Aus der Dunkelheit tritt eine junge Frau in Erscheinung. Sie trägt einen großen, spitzen Hexenhut und eine Karnevalsmaske bedeckt ihre Augen. Ihr silbernes Gewand ähnelt den Flossen eines Fisches und die Schuppen glitzern im Mondlicht. Man könnte meinen sie wäre ein kostümiertes Mitglied des Theaterklubs, doch ihr ganzen Auftreten wirkt natürlich. Als wäre ihre Gestalt als Hexe ihr wahres Selbst.
“Du meine Güte. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie oft du wohl schon diesen Spruch in einen leeren Raum gerufen haben musst.” Sagt die Hexe gefolgt von einem Kichern.
“Woher kommst du?! Was willst du hier?!” Semis versucht seine ruhige Ausstrahlung zu bewahren, aber die Aufregung und Wut macht es ihm schwer. Im Gegensatz zu den Damenunterkünften, dürfen Frauen Abends auch die Männerunterkunft betreten, doch die Gemächer des Prinzen sind dennoch Tabu.
Die Hexe scheint Semis zu ignorieren. Die ganze Zeit über wirft sie keinen einzigen Blick auf den Prinzen von Jamna. Stattdessen wendet sie sich direkt mit ausgestreckten Armen an den Präsidenten.
“Man nennt mich Zenith, die Kriegsfürstin der Flüsse.”
“Ho…” erwidert Arthurs. Für einen kurzen Moment blitzt in seinen Augen Zorn auf.
“’Kriegsfürstin’ sagst du?”
Für Semis sind alle Stricke gerissen. Sein sonst freundlich wirkendes Gesicht ist nun von Zorn verzerrt.

“Was für eine Respektlosigkeit! Wie könnte ihr Hunde es wagen-!”
Semis greift mit ausgestreckter Hand nach Zeniths Schulter, doch plötzlich ist die Hexe verschwunden.
“Was ist, Prinz Arthur? Gefallen dir unsere Titel nicht?”
Zeniths Stimme erklingt aus einer anderen Richtung. Plötzlich sitzt sie auf dem Bett. Es scheint so, als hätte sie Semis Handeln nicht wahrgenommen - Als würde er gar nicht erst existieren.
Wortlos guckt Arthur auf die Kriegsfürstin, die mit einem hämischen Grinsen ihre Beine überschlägt. Die ganze Zeit über bleibt der Prinz dabei seelenruhig, obwohl sich gerade ein unbekannter, potentieller Feind in seinem Zimmer befindet.
“Nun denn, Zenith…” Arthur erhebt sich aus seinem Sofa, wendet sich der Hexe zu und streckt selbst die Arme aus.
“Ich bin Arthur Fiore Vangarda, der Friedensstifter der Wälder und der Präsident des Studentenrates von Sirenford.”
Selbst seine einfache Vorstellung wirkt imposant und gleichzeitig bedrohlich. Der Wind aus dem Fenster bläst durch seine Jacke und das Mondlicht verleiht im einen Glanz, als wäre er ein Heiliger.
“Ho, ho!” Zenith lacht erfreut auf, “Selbst deinem Gegner gegenüber verhältst du dich respektvoll und gehoben! Ich habe nichts anderes vom großartigen Kronprinzen aus Vangarda erwartet!”
“Das wird auch die letzte respektvolle Geste sein, bevor du und der Rest von Penumbra ihr elendiges Ende finden werdet.”
“Hm, du kennst uns also bereits?” Zenith grinst herausfordernd.
Während sich diese Szene vor Semis abspielt, hat er das Gefühl, er würde ganz woanders sein. Sowohl Arthur als auch Zenith scheinen gerade in einer anderen Welt zu sein. Eine Welt, in der nur die beiden - zwei unglaublich angsteinflößende Personen existieren. Semis fühlt sich wie ein Außenseiter; Er kann wohl nicht in dieser Liga mitspielen.
Ist das hier der Beginn eines großen Konflikts?
Zwischen dem Studentenrat und Penumbra?
Zwischen Friedensstiftern und Kriegsfürsten?
“Na ja, jedenfalls bin ich nicht zum Streiten hier.” Sagt Zenith unerwartet und springt vom Bett auf. Sie richtet gelassen ihren Umhang, als hätte es diese kriegerische Atmosphäre nie gegeben.
“Ich bin nämlich hier um euch zu warnen.”
“Ich würde es bevorzugen, wenn du deine Drohungen direkt präzisieren würdest.” Erwidert Arthur.
“Nun, sagen wir’s so. Eine Katastrophe wird Sirenford bald treffen. Wann genau wissen wir noch nicht. Könnte morgen sein. Könnte in einem Jahr sein.”
“Willst du uns bedrohen?”
“Nein, nicht doch.” Sagt Zenith zynisch, “Aber wisst ihr wirklich noch, wer Freund und wer Feind ist?”
“Eure Existenz ist der Beweis, dass wir es nicht wissen.” Arthur spricht überraschend ehrlich über die Probleme, die gerade den Studentenrat belasten:
“Die Mitglieder von Penumbra sind ganz offensichtlich Studenten an dieser Schule. Bis jetzt wandelt ihr noch ausgelassen unter den Studenten, aber bald werden wir euch entlarven, jagen und ausmerzen.”
Zenith stemmt ihre Hände an ihre Hüfte.
“Puh, ich hätte nicht gedacht, dass ich so eine dramatische Antwort bekomme, aber das bestätigt meine Vermutung, dass ihr die Falschen jagt.”
“Was soll das heißen?! Was steckt wirklich hinter Penumbra?!!” ruft Semis dazwischen, doch er wird weiterhin von den beiden ignoriert.
Arthur fasst sich kurz ans Kinn. Zum ersten Mal scheint ein Lächeln auf seinem sonst stoischen Gesicht aufzutauchen.
“Huh… Interessant. Penumbra scheint mehr zu wissen, als ich anfangs annahm. Ihr spielt nicht mit offenen Karten, aber ich muss sagen das gefällt mir.”
Zenith tippt mit dem Zeigefinger auf ihre Unterlippe:
“Mehr verraten wir nicht. Möge das Spiel beginnen und der Bessere gewinnen!”
Gerade als die Kriegsfürstin die Worte ausspricht, verschwindet sie augenblicklich. Es scheint so als wäre sie nie hier gewesen - Keine einzige Spurt hat sie zurückgelassen.
“Huh?!” Semis ist erneut sichtlich verwirrt und dreht sich perplex um. Misstrauisch trampelt er durch das Zimmer des Prinzen, um zu sehen, ob die Hexe sich wieder in den Schatten versteckt hält.
“Wie erbärmlich…” Sagt Arthur.
“Auf jeden Fall. Was sollte dieses Kostüm?” antwortet Semis ein wenig erfreut, da Arthur ihm endlich wieder Beachtung schenkt, doch als er den Prinz erblickt gefriert das Blut in seinen Adern: Die Augen des Präsidenten blicken Semis voller Verachtung an. Das ‘erbärmlich’ war nicht an Zenith gerichtet, sondern an ihn.
“Du trägst den Titel des Friedensstifters der Weiden und dennoch hast du so schnell die Fassung verloren.”
“I-ich meine das war doch gerechtf-”
“Penumbra ist eine größere Gefahr, als wir anfangs angenommen haben. Wenn du vor solch einem Feind deine Emotionen nicht unter Kontrolle hast, wirst du schnell den Tod finden.”
“T-tod?”
“Die Kriegsfürsten sind keine unzufriedenen Klubvorstände oder genervte Professoren. Wir reden von Feinden, die Sirenford in Konflikte stürzen wollen. Sie wollen den Frieden stören und Blut vergießen.”
Die unheilvolle Aussage des Prinzes scheint zu stimmen. Zeniths ‘Warnung’ war ohne Zweifel eine Drohung an den Studentenrat und Sirenford an sich. Gerade bleibt Semis nichts anderes übrig, als in Demut zuzustimmen.
“D-du hast recht, Arthur. Entschuldige.” Semis verbeugt sich beschämt.
“Du kannst jetzt gehen. Wir haben über alles gesprochen. Ich erkläre morgen vor dem Rat, wie wir als nächstes gegen Penumbra vorgehen.”
“J-ja… G-gute Nacht.”
Zögerlich begibt sich Semis zur Zimmertür. Insgeheim wünscht er sich, dass Arthur in zurückruft und seinem Freund sagt, dass er es nicht so gemeint hatte - Doch dazu kommt es nicht. Denn Semis weiß, dass Arthur ihn nicht als seinen Freund sieht.