Chapter 7 - Im Halbschatten
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Professor Wagners Büro befindet sich auf der anderen Seite des Gebäudes, abseits von den Unterrichtsräumen und Laboren. Normalerweise teilen sich die Lehrer der Sirenford mehrere Großraumbüros, aber die Magiefakultät scheint extra für Professor Wagner einen persönlichen Raum bereitgestellt zu haben.

“Das zeigt mal wieder, wie viel die Akademie von Wagner hält…” murmelt Cyril, als er vor der großen Holztür steht. Die Sonne ist schon lange hinter dem Horizont verschwunden und nur die Wandleuchten vertreiben an diesem Ort die Dunkelheit der Nacht.

Klopf! Klopf!

Nachdem Cyril an der Tür geklopft hat, dauert es nicht lange, bis er eine dumpfe Stimme aus dem Raum hört; Ihre Worte sind aber kaum verständlich.

“Ich denke mal, das heißt ‘Hereinspaziert’.”

Die große Holztür ist schwer und als Cyril Kraft aufbringt, um diese aufzuschieben, merkt er erneut, wie seine Muskeln noch am schmerzen sind. Der Kraftschub aus dem Garten ist wohl bereits verflogen.

“Uhm… Guten Abend, Professor…?”

Cyril streckt vorsichtig seinen Kopf in das Büro - falls man diesen Raum überhaupt als Büro bezeichnen kann: Das Zimmer ist geräumig mit hohen dunkelroten Wänden. Zahlreiche Papierstapel bedecken den dunklen Holzboden, gemeinsam mit Gegenständen, die Cyril nicht so recht einordnen kann.

Sind das Bauteile von magischen Werkzeugen?

Sein Blick fällt auf das Pult in der Mitte des Raumes, hinter dessen Tischplatte der junge Professor auftaucht.

“Hm? Oh, Cyril Mulligan, habe ich Recht? Bitte, kommen Sie herein!”

Wagner winkt Cyril zu sich ans Pult.

“Entschuldigen Sie bitte die Unordnung. Ich arbeite momentan an einem großem Projekt und meine Assistentin kommt mit meiner chaotischen Dokumentenablage nicht zurecht, hahaha!”

Wagner lacht herzlich und kratzt sich beschämt am Kinn. In diesem Moment wirkt er wenig wie ein Professor. Das liegt nicht nur an seinem jungen Alter - er muss um die 30 sein - sondern auch an seiner fast schon kindlichen Faszination, mit der er sich seiner Arbeit widmet. Während andere Professoren Autorität ausstrahlen, bekommt der junge Wagner von seinen Studenten selten den nötigen Respekt entgegengebracht.

“Nicht schlimm…” antwortet Cyril und betrachtet die Berge an Papier und Bauteilen auf dem Pult. Abseits davon liegt auf dem Tisch ein Buch, dessen Einband und Seiten alt und vergilbt sind.

‘Theorien über die Herkunft und Funktion der Lacrima.’

“Ja, das klingt wie eine Lektüre, die sich Professor Wagner gerne durchliest.” Denkt sich Cyril, aber deswegen ist er nicht hier:

“Herr Professor, ich wollte Sie wegen einer Projektarbeit fragen.”

“Hm? Projektarbeit?”

Cyril weiß nicht, warum Wagner so überrascht schaut: Entweder weiß er nichts von einem Projekt oder er kann nicht glauben, dass Cyril ihn nach einem gefragt hat. Immerhin ist er nicht der Typ von Student, der nach zusätzlicher Arbeit fragt.

“Sudri- Ich meine Frau Bazma-Kannan hatte danach gefragt.”

Wagners Augen leuchten auf, als hätte ihn eine Erkenntnis eingeholt.

“Ja natürlich! Da fällt mir was ein! Warte Sie kurz. Bin gleich wieder da!”

Freudig summend dreht sich Wagner um und verschwindet hinter einer Wand von Papier. Man kann laut vernehmen, dass der Professor zwischen seinem Gerümpel herumwühlt.

Cyril wartet schweigend und schweift seinen Blick über dem Raum - es gibt hier auf jeden Fall genug zu sehen. Wie bei einem Wimmelbild entdeckt man in dem Chaos immer wieder neue Gegenstände: Zahnräder, Magieplatinen und… ein Wasserkocher?

Plötzlich klopft es an der Tür.

Eine Studentin betritt den Raum.

Ihre Körperhaltung wirkt so zerbrechlich, dass es Cyril überrascht, dass sie die schwere Holztür anscheinend mit Leichtigkeit öffnen konnte.

“Ä-ähm… Professor Wagner…”

Ihre Stimme klingt zittrig. Zwischen ihren rosafarbenen, zerzausten Haaren blicken ihre blauen Augen ängstlich hervor.

Cyril kann nicht wirklich sagen, ob dieses Mädchen einfach nur sehr schüchtern oder absolut verängstigt ist. Ihre ganze Präsenz strahlt eine Aura voller Elend aus.

“Ah, Frau Whitworth!” dröhnt Wagners Stimme aus dem Papierhaufen,

“Sie kommen wie immer zur richtigen Zeit. Könnten Sie bitte den Bücherstapel auf dem Schreibtisch wieder zur Bibliothek bringen? Die Leihdauer läuft nämlich bald ab.”

“J-ja, Herr Professor!”

Die Stimme der Studentin ist so leise, dass Wagner sie wahrscheinlich gerade noch hören konnte. Mit schnellen Schritten nährt sie sich dem Tisch und sammelt hektisch die Bücher zusammen - darunter auch ‘Theorien über die Herkunft und Funktion der Lacrima’.

Warte, das Buch gehört nicht zum Stapel!

“H-hey, warte!” ruft Cyril und sorgt dafür, dass die Studenten erschrocken aufspringt - Sie scheint ihn erst jetzt bemerkt zu haben.

“Ä-ähm… E-entschuldigung!” Sie hebt den Bücherstapel in ihren Händen über ihren Kopf und verbeugt sich. Die Tatsache, dass sie körperlich in der Lage solch ein Gewicht zu heben, beeindruckt Cyril erneut.

“I-ich bin Hannah Whitworth,” winselt das Mädchen, “F-freut mich dich kennenzulernen.”

Bevor er Hannah auf ihren Fehler aufmerksam machen kann, hat die Studentin bereits das Büro des Professors wieder verlassen.

Na ja, selber schuld…

Er dreht sich wieder zum Papierhaufen, hinter dem Wagner weiterhin am herumwühlen ist.

“War das die Assistentin von der Sie sprachen?”

“Exakt! Hannah Whitworth,” der Professor taucht wieder zwischen dem Papier auf:

“Sie ist die Enkelin von Clemens Whitworth.”

“Sie meinen den Erfinder?”

Selbst für Cyril, der kein großes Interesse für Magietechnik hegt, ist Whitworth ein bekannter Name. Immerhin tragen viele Bauteile in der Magiewerkstatt diesen Namen.

“Exakt!” bejaht Wagner erneut, “Sie will wie ihr Großvater eine große Persönlichkeit im Magie-Ingenieurwesen werden und hatte deswegen bei mir nach einer Assistenzstelle gefragt.”

“Verstehe…”

Für Cyril wirkt Hannah nicht sonderlich energisch oder ambitioniert.

Will sie das aus eigenem Antrieb oder wegen den Erwartungen anderer?

Er kann sich gar nicht vorstellen, welche eine Last es sein muss, solch ein großes Vermächtnis auf den Schultern tragen zu müssen. Dabei wirkt Hannah auch noch so zerbrechlich und schwach…

“Ich habe es gefunden!” Wagner klettert über dem Papierhaufen und hält Cyril eine türkisfarbene Platte entgegen. Cyril hat keine Ahnung, was das sein soll.

“Entschuldigen Sie Professor, aber was ist das?” fragt Cyril verwundert.

“Das ist ein magisches Werkzeug, dass ein Freund von mir entwickelt hat. Ich soll es an so vielen Leuten wie möglich austesten.”

“Austesten?”

“Exakt! Könnten Sie bitte kurz ihre Hand darauf legen?”

“K-könnte etwas passieren? Ist es gefährlich?”

Cyril betrachtet die Platte misstrauisch. An ihrem Rand scheint sich ein Art Bildschirm zu befinden.

“Es misst nur die Gehirnaktivitäten einer Person. Mein Kollege will damit den Medizinbereich revolutionieren. Bis auf ein Kribbeln sollten Sie nichts spüren.”

“I-ich weiß ja nicht so recht…”

“Wenn sie mir nicht helfen, werde ich Ihnen keine Informationen zur Projektarbeit weitergeben können.”

“Hm, okay…”

Wagner wird wohl kaum seine Studenten für ein Experiment in Gefahr bringen und außerdem hilft Cyril gerne, wenn es einem guten Zweck dient.

Er legt seine ausgestreckte Hand auf die Platte und merkt sofort, wie sich ein Kribbeln in seinem Kopf ausbreitet - gerade als er es bemerkt hatte ist es auch wieder verschwunden.

“Hm, ist es kaputt?”

Die Platte regt sich kein bisschen. Der Bildschirm bleibt auch schwarz.

“Huh…” Wagner beäugt das Gerät sorgfältig, “Bis jetzt hat es immer funktioniert…”

Wollen Sie mir damit sagen, dass mein Hirn keine Aktivitäten vorweist?

“Ach, machen Sie sich nichts daraus, Herr Mulligan. Bestimmt sind die Einstellungen wieder durcheinander gekommen, haha.” Wagner legt die Platte in eine Schublade unter dem Pult.

“Jedenfalls, bezüglich der Projektarbeit…” setzt Wagner an.

Genau, deswegen bin ich ja zu Ihnen gekommen…

“Ich hatte einigen Schüler eine Arbeit gegeben, damit sie Zusatzpunkte sammeln können, aber die Deadline ist bereits morgen, deswegen scheint es mir nicht sinnig diese Arbeit auch an Sie und Frau Bazma-Kannan weiterzugeben.”

Es ist auch kein Wunder: Das Semester ist immerhin in drei Wochen schon vorbei. Es ist schwachsinnig von Sudri jetzt noch eine Projektarbeit beginnen zu wollen.

“Darf ich fragen, was diese Projektarbeit beinhaltet? Sie scheinen ja allen Studenten die gleiche Arbeit gegeben zu haben, richtig?”

Der Professor lehnt sich an seinen Schreibtisch und betrachtet ein seltsames Objekt in der Ecke des Raumes: Es ist eine menschengroße, grüne Vase, die mir blauem Glas verziert ist.

“Ich brauchte Hilfe für ein potentielles Meisterwerk.” Wagner zeigt auf die Vase,

“Ich arbeite an diesem magische Werkzeug seit fast zehn Jahren, aber es benötigt unglaubliche Mengen an magischer Energie, um es zu testen.”

“Hm, verstehe.”

“Deswegen habe ich meine Studenten gefragt, ob sie für mich Harz des Arkadia-Baumes sammeln könnten. Die magische Energie, die darin steckt ist der perfekte Treibstoff.”

Cyril neigt seinen Kopf fragend zur Seite.

“Warte, Sie haben Studenten auf Sammelaufträge geschickt und ihnen dafür Zusatzpunkte gegeben?”

Auf so eine einfache Weise Punkte fürs Semester zu sammeln, hätte Cyril gerne mitgemacht…

“Ich weiß, dass es für die Studenten keinen akademischen Mehrwert hat,” sagt Wagner und kratzt sich verlegen am Hals, “aber, wenn dieses Werkzeug irgendwann funktionstüchtig ist, werden wir damit die ganze Welt verändern können.”

“Na ja, ich weiß nicht…”

“Der Zweck heiligt die Mittel, Herr Mulligan. Sie werden das schon eines Tages verstehen.”

Es ist kein Geheimnis, dass Wagner absolut vernarrt in seiner Arbeit ist, aber dass er als Professor sein Amt missbrauchen würde, um Fortschritte in seinen privaten Projekten zu erzielen, findet Cyril schon fragwürdig. Tatsächlich weiß er nicht mehr so recht, ob er den Professor wirklich noch als ein Vorbild bezeichnen kann.

“Was… Was kann dieses Werkzeug überhaupt beziehungsweise was soll es tun?”

Der Professor grinst breit. “Das bleibt noch geheim, aber es wird super, wenn es mal funktioniert!”

Solange ich meine einfachen Zusatzpunkte bekomme, würde ich auch nicht weiter nachfragen, um ehrlich zu sein…

Die Sache mit der Projektarbeit hat sich jetzt sowieso erledigt. Cyril wird jetzt einfach zu seiner Unterkunft gehen und Sudri morgen früh als Idiotin beleidigen.

“Alles klar, Professor. Ich mache mich dann wieder auf den Weg. Schönen Abend noch.”

Mit beiden Händen in der Hosentasche begibt sich Cyril zur riesigen Holztür, als Wagner ihn noch stoppt.

“Herr Mulligan, hören Sie mal…”

“Hm?”

“Bitte passen Sie auf sich auf.”

“Huh? U-uhm, ja. Mach ich.”

“Nehmen Sie sich vor ihnen in acht. Sie agieren bei Nacht.”

“B-bitte was?”

“Sie haben bestimmt schon von diesen Leuten gehört.”

“Uh…”

“Penumbra.”

“Penum-…bra?”

“Exakt, es handelt sich um eine Terrorgruppe, die seit Kurzem an dieser Akademie aktiv geworden ist. Ich meine das ernst. Ich weiß, dass Sie eine sehr gelassene Person sind, aber die Gefahr die von Penumbra ausgeht ist nicht zu unterschätzen.”

“Hm.” Cyril nickt.

Penumbra… Eine Gruppe, die vor kurzem aktiv wurde…

Könnte der geheimnisvolle Maskenmann etwa zu ihnen gehören?

Weiß der Professor, dass Cyril den maskierten Mann morgen treffen wird?

Soll das eine Warnung sein?

“Ich bin für ihre Fürsorge dankbar, aber Sie müssen sich keine Sorgen um mich machen. Wirklich.”

Wagner schaut kurz misstrauisch, doch dann ziert sein junges Gesicht wieder ein Grinsen:

“Natürlich. Entschuldigen Sie. Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Abend.”

Cyril wirft dem Professor ein Lächeln zurück. Seine “Projektarbeiten” sind zwar fragwürdig, aber Wagner scheint sich aufrichtig um seine Studenten zu sorgen.

Sollte Cyril Isabell vielleicht doch nicht treffen?

Ob Falle oder nicht: Könnte ein Mitglied von Penumbra wirklich eine Gefahr für einen unauffälligen Mann aus dem gemeinem Volk werden? Jemanden wie Cyril?

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